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Rezension: James Bond 007 - Der Spion, der mich liebte

Vivienne Michel ist auf der Flucht. Zunächst nicht vor Bösewichtern, sondern vor ihrer mehr als unerfreulichen Vergangenheit.
Die junge Kanadierin hat in Europa mehr als nur eine unglückliche Liebesgeschichte hinter sich gelassen und versucht nun, bei einer Reise auf einer Vespa durch die USA wieder zu innerer Stärke und Ausgeglichenheit zu gelangen. Aus Geldmangel heuert sie im Dreamy Pines Autohof tief in der amerikanischen Provinz als Rezeptionsangestellte an.

Als das Motel für die Wintersaison geschlossen wird, soll Vivienne eine Nacht alleine dort verbringen und am nächsten Tag den Schlüssel an die Beauftragten der Besitzer übergeben.
Dass diese jedoch schon am Abend zuvor ankommen und sich schnell als waschechte, skrupellose Gangster entpuppen, wird für die junge Frau schnell zum Problem. Sie muss sich nicht nur ungewünschter Avancen erwehren, sondern auch erkennen, dass das Motel und ihr eigenes Leben ersetzbar sind.
Als spät am Abend noch ein weiterer Gast das geschlossene Motel erreicht, wähnt sich Vivienne abermals in Lebensgefahr. Doch dieser Gast ist James Bond, der schnell alles daran setzt, beider Leben zu retten – ein Mann, von dem sich Vivienne bald wünscht, von ihm geliebt zu werden. Doch dann geht das Motel in Flammen auf und die geplante Flucht entpuppt sich als brandgefährlich …


Der zehnte Band der „James Bond“ Reihe von Ian Fleming wartet mit einer Neuerung auf – denn dieses Mal wird ausschließlich aus der Perspektive der weiblichen Hauptperson Vivienne Michel erzählt, James Bond kommt überhaupt erst auf Seite 132 von insgesamt 217 ins Spiel. Sehr viel Raum in der Erzählung verwendet Fleming darauf, Viviennes Vorgeschichte von der Kindheit an zu beleuchten, und damit auch den Grund, warum sie sich auf der Reise durch die USA befindet und was sie dabei zu finden versucht.
Dabei kommen weder Viviennes erste Liebhaber, ein nur auf körperliches Vergnügen ausgerichteter junger Engländer und ein bis zum Hals zugeknöpfter Deutscher, noch die mit erschreckender Naivität durch ihre Liebes- und Erotikerfahrungen stolpernde Vivienne besonders gut weg. Vielmehr bleibt die Frage zurück, wieso eine Frau dermaßen passiv mit ihrem eigenen Leben umgeht und sich mehr von den Entscheidungen anderer treiben lässt, als wirklich selbst zu entscheiden.

Als sie sich endlich zu einem Befreiungsschlag in Form ihrer Reise durchringt, seelisch wegen ihrer unglücklichen Liebesgeschichten schon deutlich gebeutelt, wird sie dafür noch durch die Erfahrung mit den beiden Gangstern Sluggsy Morant und Sol Horowitz bestraft, deren nur noch auf körperliche Begierden reduziertes Auftreten den Gipfelpunkt männlichen Fehlverhaltens markieren.
Umso strahlender soll James Bond als Held erscheinen, den Vivienne im ersten Moment wegen seiner gnadenlosen Ausstrahlung auch für einen Gangster hält – und sich dann dennoch, getreu ihrer bisherigen Vorlieben folgend, in ihn verliebt.

Dass James Bond als Allheilmittel für die geplagte Weiblichkeit herhalten muss, ist nicht das erste Mal (vgl. Pussy Galore in „Goldfinger“, die flugs wieder in Richtung hetero bekehrt wird), aber es war bislang noch nie so platt formuliert. Natürlich fällt ihm Vivienne wie eine reife Frucht in die Arme, natürlich rettet er sie und lässt sie am Ende allein zurück – an Vorhersehbarkeit ist der denkbar platte Plot kaum noch zu übertreffen.

Wie üblich punktet Fleming im Bezug auf die Action im letzten Teil der Erzählung, die realistische Schilderung aus der Sicht Viviennes wirkt dabei durchaus erfrischend und interessant. Als Gegenpart zum sehr viel erfahreneren Bond ist sie mit all ihren Unsicherheiten und Angstgefühlen passend, solange man nicht zu tief in ihrer Persönlichkeit bei der Charakterisierung ansetzt. So erscheint mir recht unglaubwürdig, dass eine Frau, die noch nie mit Waffen zu tun hatte, den Schießpulvergeruch mit dem passenden Fachbegriff einordnet oder sich gar taktische Überlegungen macht.

Dieser Roman aus der James-Bond-Reihe bereitete mir beim Rezensieren Bauchschmerzen. Ich kannte dieses Buch schon sehr lange, da ich in meiner Jugend schon bekennender Bond-Fan war, doch ‚Der Spion, der mich liebte‘ hatte mir schon mit 15 nicht gefallen. Mit den Jahren hat sich das auch nicht wirklich geändert, auch wenn bei der Neuauflage und Neuübersetzung die Hoffnung blieb, etwas Interessantes vielleicht doch neu zu entdecken.

Leider ist der Roman nach wie vor langatmig und in den ersten zwei Dritteln dermaßen unspannend, dass ich mich nach wie vor bis zum Actionteil mit James Bond durchquälen muss. So manches Mal hatte ich den Eindruck, hier versuche ein alternder Schriftsteller, sich in eine sehr junge Frau hineinzuversetzen und scheitere großartig darin. Vivienne hat alles, was die Frauen in den Bond-Romanen oft vorweisen können: eine traurige Vergangenheit, tolles Aussehen und natürlich eine Vorliebe für Männer wie James Bond.

Solange diese Grundkomponenten nicht zu detailreich beschrieben werden, funktionieren solche Frauencharaktere, hier aber geht Fleming viel zu sehr in die belanglose Tiefe und spätestens dann wird deutlich, dass eine dermaßen grobe Rahmenkonstruktion nicht wirklich tragfähig ist. Und mit einer unausgegorenen Hauptperson, aus deren Sicht auch noch ausschließlich erzählt wird, kann keine gute Story zustande kommen. So wird ‚Der Spion, der mich liebte‘ zum absoluten Tiefpunkt einer ansonsten hochklassigen und spannenden Buchreihe.

Fazit: Wer einen actionreichen, bunten Roman in bester Bond-Tradition erwartet, sollte lieber nicht zugreifen. Fleming-Fans sollten diesen misslungenen Versuch anderer Erzählperspektive jedoch lesen, um das Bild seines Schaffens abzurunden. Drei von zehn möglichen Punkten.

Buchdetails:
Reihe: James Bond 007, Band 10
Titel: Der Spion, der mich liebte
Originaltitel: James Bond - The Spy Who Loved Me
Autor: Ian Fleming
Übersetzer: Anika Klüver, Stephanie Pannen
Buch/Verlagsdaten: CrossCult, Auflage 1. (September 2013), 220 Seiten, ISBN-13: 978-3864250880, 12,80€

Über Gloria H. Manderfeld

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