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Rezension: Das Spiel der Spiele (Wild Cards I)


»American Hero« ist DAS neue Castingshowformat im amerikanischen Fernsehen und wird von der Öffentlichkeit mit viel Aufmerksamkeit bedacht – vor allem, weil es hier nicht normale Menschen sind, die miteinander um den Sieg kämpfen, sondern sogenannte »Asse«, Menschen mit aussergewöhnlichen Fähigkeiten, welche sie zu Superhelden machen können. 
Denn die Welt der Gegenwart ist anders als unsere Realität: kurz nach dem zweiten Weltkrieg wurde durch das Handeln des schurkischen Dr. Tod ein Alienvirus auf die Menschheit losgelassen, welches zu wilden Mutationen der DNA führte. Viele kamen durch das Virus zu Tode, manche wurden zu »Jokern«, welche sich durch sichtbare, groteske Mutationen deutlich vom Rest der Bevölkerung unterscheiden, und nur sehr wenige werden zu »Assen« - und nicht jedes »Ass« benutzt seine Talente für das Gute.

Bei der TV-Show »American Hero« geht es indes um den Teilnehmern gestellte Schwierigkeiten, bei denen sie ihren Heldenmut, ihre Kreativität und ihre Teamwork beweisen müssen – und das ist für so unterschiedliche, reichlich problembeladene Persönlichkeiten wie beispielsweise »Jonathan Hive«, der sich in einen Wespenschwarm verwandeln kann und versucht, als journalistischer Blogger bekannt zu werden, Ana Cortez, die »Earth Witch« genannt wird und mit ihrer Kraft riesige Gräben im Boden ausheben kann, »Drummer Boy« Michael Vogali, der als sechsarmiger Joker bereits eine Berühmtheit ist, da er als Schlagzeuger in einer bekannten Joker-Band mitspielt oder die attraktive Kathleen Brandt, welche als »Curveball« auftritt und Bälle mit unglaublicher Kraft bewegen kann. Doch als im Nahen Osten eine Krise ausbricht und tausende Joker in Ägypten in Lebensgefahr geraten, wird für so manchen Möchtegernhelden das Spiel zu einer gefährlichen Realität …

Kann eine zwischen verschiedensten Autoren geteilte Welt funktionieren? Kann ein Buch mit fortlaufender Handlung funktionieren, an dessen Kapitel und Protagonisten gleich mehrere Personen geschrieben haben? Diese beiden Fragen sollte man sich stellen, wenn man sich mit »Das Spiel der Spiele« beschäftigt, denn beide Fragen beantwortet dieses Buch meines Erachtens nach mit »ja«. Gewöhliche Anthologien kranken oft an der sehr unterschiedlichen Schreibqualität der beteiligten Autoren, doch dies ist beim vorliegenden Roman aus der Welt der »Wild Cards« nicht der Fall: 
zwar ist von Kapitel zu Kapitel durch die unterschiedlichen Schwerpunkte und Beschreibungsgewohnheiten des jeweiligen Autors durchaus zu merken, dass sich hier mehrere Schreiber zusammengefunden haben, doch fällt das nie negativ ins Auge, sondern betont vielmehr die Individualität der in den einzelnen Kapiteln vorgestellten »Assen«.

Dabei ist das Kapitel, welches vom Herausgeber George R. R. Martin verfasst wurde und sich mit dem deutschen Ass Lohengrin befasst, eines der schwächeren Kapitel und steht hinter den Schilderungen aus der Sicht von Ana Cortez (geschrieben von Carrie Vaughn) und Bubbles (geschrieben von Caroline Spector) sowohl an Intensität als auch Emotion deutlich zurück. 
Besunders gelungen scheint mir hierbei der Kunstgriff, die einzelnen Kapitel, welche sich sehr unterschiedlichen Aspekten der fortlaufenden Handlung widmen, durch die Blogeinträge von Jonathan Hive (geschrieben von Daniel Abraham) einrahmen zu lassen, wobei Hive eine deutlich sichtbare Entwicklung vom reinen Zuschauer und Chronisten hin zum aktiven Handelnden durchläuft, die der Leser durch seinen eindringlichen, modernen Schreibstil hautnah mitbekommt und somit eine besondere emotionale Verbindung zu dieser Figur aufbauen kann.

Überhaupt verweben sich mehrere Elemente in diesem Roman auf gekonnte Weise ineinander: die zwei Storybögen, von denen sich einer mit der Spieleshow »American Hero« und den darin für die Teilnehmer gestellten Herausforderungen und der zweite mit den Ereignissen im Nahen Osten und dem Flüchtlings- und Kriegselend in Ägypten befasst. Daneben jedoch bieten einige der häufiger auftauchenden Charaktere ebenso eine Entwicklungsgeschichte, von der die des Jonathan Hive die Augenfälligste sein dürfte. 
Aber auch Ana Cortez, Drummer Boy, Fortune und Lohengrin erfahren eine merkliche Veränderung: manch einer wird erwachsen oder verhält sich endlich verantwortungsbewusst anstelle egoistisch, andere erkunden neue Aspekte in ihrem Dasein als »Ass« und lernen sich im Angesicht einer viel größeren, tragischeren Krise neu kennen. Somit wird die klassische »Heldenreise«, welche als Storymodell für so viele epische Fantasy- und SciFi-Geschichten die Grundlage bildet, auch in »Das Spiel der Spiele« bedient und gleich mehrfach geschickt miteinander verwoben. 

Dabei ist nicht jedes »Ass« ein Ausbund an Sympathie, auch eine höchst zwielichtig erscheinende Gestalt erhält in mehreren Kapiteln Würdigung. Gelungen wird von den Autoren eine sehr überraschende Vielfalt möglicher Fähigkeiten beschrieben, die auf den ersten Blick vielleicht nicht einmal besonders nützlich erscheinen, dann jedoch so kreativ benutzt werden, dass man nur noch staunen kann. Zudem gelingt es den Entwicklungen während des Storyverlaufes, immer wieder eine kleinere oder größere Überraschung bereit zu halten, sodass die Spannung auch in der tragischeren Szenerie des Krieges gewahrt bleibt und man der Auflösung entgegen fiebert.

Wer das »Wild Cards« Universum noch nicht kennt, bekommt hier einen gelungenen, durch die wechselnden Autoren und Perspektiven nicht ganz bequemen Einstieg in die Konflikte, Möglichkeiten und Einblicke in sehr unterschiedliche, spannend ausgeformte Persönlichkeiten, die man gerne auf ihrer Entwicklung und ihrem größten Abenteuer begleitet. 
Schade nur, dass nur durch eine sehr dünne »Herausgegeben von« Markierung auf dem Cover, welche so klein gestaltet ist, dass sie auf den ersten Blick gar nicht auffällt, überhaupt deutlich wird, dass es sich hier keinesfalls um ein ausschließlich von George R. R. Martin verfasstes Buch handelt – der Klappentext verschweigt diese Tatsache nämlich gekonnt. Hier verlässt sich der Verlag meines Erachtens nach zu sehr auf den verkaufsträchtigen Namen des Herausgebers, denn die Qualität der beteiligten Autoren braucht sich hinter diesem keineswegs zu verstecken.

Fazit: Spannende, abwechslungsreiche Superheldengeschichte aus einem geteilten Universum. Für Neueinsteiger in die »Wild Cards«-Welt sehr zu empfehlen. Neun von zehn möglichen Sternen.


Buchdetails:
Titel: Das Spiel der Spiele (Wild Cards - 2. Generation, Band 1)
Originaltitel: Wild Cards - Inside Straight
Autor: George R. R. Martin (Hrsg.)
Übersetzer: Simon Weinert
Buch-/Verlagsdaten: Blanvalet Verlag, broschierte Ausgabe, 1. März 2017, 544 Seiten, ISBN 978-3-7341-6107-0, 9,99€
Das Rezensionsexemplar wurde vom RandomHouse-Bloggerportal zur Verfügung gestellt - vielen Dank!  

Über Gloria H. Manderfeld

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