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Rezension: 7te See - Grundregelwerk


Der Kontinent Théah ist von einer Menge schwärender Konflikte geschüttelt – mehrere sehr unterschiedliche, aber doch in ihren Interessen und Zielen klar aufgestellte Nationen versuchen, allen anderen gegenüber einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorsprung zu erlangen und tragen ihre Kriege nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch in den Schatten und über weitreichende Intrigen aus. 
Doch während die Nationen miteinander rangeln, Seefahrer auf der Jagd nach reichen Prisen als Piraten die Meere unsicher machen, Geheimgesellschaften im Verborgenen nach der Erfüllung ihrer Ziele streben und der erbitterte Kampf zwischen Wissenschaft und Religion begonnen hat, müssen sich die einfachen Menschen zudem mit Monstern auseinander setzen, deren Kräfte so schrecklich und furchteinflößend sind, dass nur echte Helden im Kampf gegen jene eine wirkliche Chance haben …

Das neue deutsche Rollenspiel-Regelwerk des 1999 erschienenen RPGs »7te See« entführt Spieler und Spielleiter in eine Welt, in der Mantel-und-Degen-Action ebenso Raum erhält wie finstere Zauberei, phantastische Wesenheiten und höfisches Gepränge. Auf knapp 320 Seiten erhält man nicht nur Einblick in die Welt, sondern auch umfangreiche Hilfen zur Charaktererschaffung, Szenengestaltung und dem Wirken als Spielleiter. Dabei ist das Regelwerk in folgende Hauptabschnitte gegliedert:
In der Einführung erhält der Leser mit einer Story Einblick in die Welt von Théah, danach gibt es im ersten Kapitel einen Willkommensgruß samt Kurzerklärung zum Rollenspiel allgemein und schließlich eine im zweiten Kapitel nach den jeweiligen Nationen wie Avalon, Castillien, Inismore, den Eisenlanden, Ussura und mehr geordnete Vorstellung der unterschiedlichen, möglichen Schauplätze für das Rollenspiel. Ein allgemeiner Blick auf den Alltag der Théaner, die Kirche, Geheimgesellschaften, die Königshöfe und andere Details runden das erste Kennenlernen des Kontinents und der aktuellen Lage auf gut insgesamt 120 Seiten ab.

Das dritte Kapitel widmet sich ganz der Erschaffung eines Spielercharakters und umfasst sowohl zu einer Herkunft aus den jeweiligen Nationen passende optische Merkmale, typische Berufe, religiöse Ansichten und Lebenseinstellung wie auch eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Erstellung des Helden von banalen Fragen wie nach dem familiären Hintergund bis hin zu dessen Psyche, Ängsten und Hoffnungen. 
Danach widmet sich dieses Kapitel den aus gewählter Nation und den Hintergründen entspringenden Boni sowie auch Spleens, daneben werden die Fertigkeiten und Vorteile näher beleuchtet, mit denen man seinen Heldencharakter detaillierter ausgestalten kann. Auch die den Helden zuzuordnende Karte aus den Arkana, welche Tugend und Untugend des Heldencharakters bemisst sowie die Geschichte des jeweiligen Spielerhelden und die Ausgestaltung derselben nehmen einen großen Raum ein und wird durch letzte Details auf knapp 50 Seiten vollendet.

Kapitel Vier umfasst auf gut 35 Seiten alles, was bei »7te See« mit Action, Drama und Ereignissen zu tun hat, bei welchen die Spielercharaktere eine entscheidende Rolle spielen. Hier wird das settingeigene, erzählintensive Steigerungs-System vorgestellt, mit dem derartige Szenen durch die Helden durchgestanden und beeinflusst werden können und gibt anhand zweier Geschichten, welche sowohl eine Action- als auch eine Dramasequenz mit einer Spielerrunde beleuchten, eine praktische Anleitung dafür, wie dieses System in der Praxis umgesetzt werden kann.
Auch Spielleiter kommen in diesem Kapitel nicht zu kurz: sie erhalten praktische Hinweise dafür, wie sie Gegner und vor allem Monster gestalten können, wie man einen längerfristigen Antagonisten der Spielerheldengruppe, einen sogenannten Schurken erstellen und im Spiel bewegen kann und stellt Möglichkeiten vor, wie man eine Geschichte für die Heldengruppe erstellt sowie mögliche Konsequenzen aus dem Handeln der Charaktere bemisst und ins Spiel einführt.


Im fünften Kapitel dreht sich etwa 20 Seiten alles um die verschiedenen Formen der Zauberei, welche auf Théah ausgeübt werden: vom klassischen, mit Salben ausgeübten Hexenwerk über den von den Rittern Avalon geübten Glamour, den Lehren der Matuschki, welche den Zaubernden für jede positive Wirkung, die er ausübt, einen gewissen Preis abfordert, der die Realität beugenden blutsgebundenen Zauberkraft ‚Porté‘, dem als ‚Sanderis‘ bezeichneten Pakt mit einem dämonenhaften Wesen bis hin zur Schicksalsweberei, »Sorte« genannt erhält der Leser einen tiefen und vielfältigen Einblick in alles, was auf Théah mit magischer Wirkung zu tun hat – und natürlich auch mit den daraus resultierenden Nachteilen, wenn Zauberer allzu unvorsichtig mit ihren Kräften zu Werke gehen.

Das sechste Kapitel umfasst auf 6 Seiten die Kunst des Fechtens sowie die verschiedenen, auf Théah erlernbaren Duellantenstile sowie die Schulen, welche sie lehren. Auch die Seefahrer kommen im Grundregelwerk nicht zu kurz, im siebten Kapitel erfahren Möchtegernseebären alles über den Alltag der Seefahrer, die verschiedenen Tätigkeiten an Bord und Sinnsprüche, welche zum weit verbreiteten Aberglauben der Seefahrer passen. Wer sich ein eigenes Schiff basteln möchte, erhält zudem einen kleinen Baukasten, in welchem Schiffstyp, die Herkunft und Schiffshintergründe bestimmt werden können, um dann als Crew spannende Schiffsabenteuer zu bestehen. Auch Seeschlachten und Seemonster werden in diesem Kapitel beleuchtet, sodass sowohl Spieler als auch Spielleiter auf guten zehn Seiten genügend Hilfen für diesen Inhalt an die Hand bekommen. Die nationenübergreifend agierenden Geheimgesellschaften und deren sehr unterschiedliche Ziele werden im achten Kapitel auf mehr als 10 Seiten präsentiert, ebenso wird das Gunst-System für Spielerhelden, welche sich einer Geheimgesellschaft anschließen möchten, anhand sinnvoller Beispiele vorgestellt.

Das neunte und letzte Kapitel ist besonders für Spielleiter interessant, da es auf etwa 25 Seiten die Tätigkeit eines Spielleiters, die damit einher gehenden Herausforderungen und die Vorbereitung eines Spielabends genauer beleuchtet, sodass auch Anfänger eine gute Vorstellung der SL-Aufgaben erlangen können. Hierbei wird neben einem genaueren Blick auf die Gestaltung von Actionszenen und Gegnern viel Wert auf die Geschichtenerschaffung und den Umgang mit Spielern gelegt – auch für langjährige Spielleiter ein Kapitel, das gerade bezüglich Storytelling einen längeren Blick wert sein sollte. Der sinnvoll gegliederte Anhang des Grundregelwerks enthält sowohl einen alphabetisch wie auch nach Stichworten geordneten Index und eine Kopierseite für einen Heldenbogen.


Gerade für erzählwillige Spielleiter und Spieler, die mehr Wert auf eine anschauliche Beschreibung denn Würfelorgien legen, ist »7te See« mehr als nur einen Blick wert: Actionszenen werden nicht etwa mit endlosem ‚schlägt der Held zu – trifft der Held überhaupt – der Gegner blockt/pariert – der Gegner schlägt zu – wieviel trifft der Hieb – kann der Held parieren oder blocken‘ Abwürfeln ausgestaltet, sondern erfahren im Ansatz-Konsequenzen-Chancen-System eine deutlich pauschalere Bestimmung, bei der es viel mehr auf gute Ideen und Mitdenken ankommt denn alleine auf Würfelglück.

Als Spieler muss man zu Beginn einer Szene überlegen, welches Ziel der Held verfolgt und wie er dieses erreichen möchte, woraufhin der Spielleiter bestimmt, welche Risiken mit diesem Ansatz einher gehen. Jedes eingegangene Risiko hat natürlich auch mögliche Konsequenzen, welche das Erreichen des Erfolges erschweren können, und kann Chancen beinhalten, die dem Spielerhelden eine günstige Gelegenheit oder Erleichterung verschaffen können, um sein Ziel zu erreichen.

Die in Actionsequenzen eingesetzte ‚Währung‘ besteht aus sogenannten Steigerungen: diese ergeben sich aus dem benutzten Würfelpool, der aus den für die Erlangung des Erfolges benutzten Fähigkeits- und Eigenschaftsstufen bestimmt wird und jeweils Würfelergebnisse erbringen müssen, die 10 oder mehr ergeben. (Beispiel: man würfelt 6 Würfel, die das Ergebnis 10,7,5,5,2 erbringen – das wären drei Steigerungen: eine 10, einmal 5+5, einmal 7+2+2) Mit diesen Steigerungen können Risiken minimiert und Chancen ergriffen werden, sodass ein Held unbeschadeter aus einer gefährlichen Situation heraus kommen oder ein besonderer, hilfreicher Gegenstand erlangt werden kann. 
Ähnlich funktioniert der Umgang mit Dramasequenzen, die weniger temporeich angelegt sind und damit mehr verdecktes Vorgehen, Intrigen oder ähnliches erlauben – beispielsweise der Besuch eines in mehrere Dramasequenzen unterteilten Ballabends, bei welchem die Spielerhelden eine bestimmte Information erlangen müssen.

Das ermöglicht zudem auch weniger redegewandteren Spielern, einen charismatischen oder gesellschaftlich firmen Heldencharakter zu spielen, da sie sich sehr viel mehr Gedanken um den Ansatz ihres Vorgehens machen müssen als um das tatsächlich gesprochene Wort. Nicht jeder Spieler ist rhetorisch fit genug, um ein halbstündiges Rededuell mit dem NPC (also dem Spielleiter) durchzustehen, sodass ausgegebene Steigerungen das Ganze schlicht ersetzen oder abkürzen können, ohne dass man sich verstellen oder die Haare raufen muss.

Dieses Systen erlaubt sehr dynamische Szenen, die mit Einfallsreichtum und Mitdenken entscheidend verändert werden können – erwürfelt der Spieler überhaupt keine Steigerung, gibt das System dem Spielleiter auch dann eine faire Möglichkeit an die Hand, etwas interessantes zu gestalten, ohne dass gleich Heldenleichen den Weg der NPCs pflastern. Generell wirkt das Steigerungen-System frisch und abwechslungsreich, passend zum Mantel-und-Degen-Heldenszenario, welches für »7te See« grundlegend ist. Allerdings erfordert ein solches System auch einen flexiblen und kreativen Spielleiter, der damit klar kommen können muss, dass seine geplanten Szenen ihm auch mal um die Ohren fliegen können, wenn ein Spieler eine sehr gute Idee oder schlicht enormes Würfelglück hat.

Der Gesamteindruck des Regelwerks ist sehr positiv: die Kapitel sind übersichtlich gestaltet und gut lesbar gelettert, es gibt genügend die Texte auflockernde, zum Szenario passende Illustrationen, Ingame-Texte und extra Erläuterungsboxen runden die jeweiligen Abschnitte ab, sodass keine Wünsche offen bleiben. Sehr schön fand ich es, bei den Illustrationen auch gleichgeschlechtliche Liebespaare zu sehen, was in den meisten Regelwerken eher selten der Fall ist. 
Der sehr ausführliche Heldenerschaffungspart widmet sich erfreulicherweise nicht nur den systemimmanenten Fragen, sondern lässt den Spieler über allgemeine Fragen wie Lebenseinstellung, familiären Hintergrund und Ängste seines Heldencharakters sinnieren, die dabei helfen können, eine vielschichtige Figur zu basteln und so auch einen Spielanfänger gut abholen. Spielleiter mit wenig Erfahrung können gerade aus der Anleitung für die Storyerschaffung und den Umgang mit Spielern im schwierigeren Momenten einiges ziehen. 
Gerade, dass hier so viel für Unerfahrene mit an die Hand gegeben wird, halte ich neben dem vielseitigen und detailliert beschriebenen Setting für eine der echten Stärken des Regelwerks, da es den Einstieg sowohl auf Spieler- als auch auf Leiterseite deutlich erleichtert.


Aber auch erfahrene Spieler können viel aus »7te See« schöpfen – für ein Grundregelwerk erhält man einen sehr soliden Einblick in die verschiedenen Länder, deren kulturelle Eigenheiten und die politische Lage, sodass man eigentlich an vielen Ecken der Spielwelt einen Ansatz für eine neue Runde finden kann. 
Wer sich einen magiebegabten Helden erschaffen will, hat die Qual der Wahl, da jede Magieausrichtung ihre Stärken und Schwächen und vor allem darin implementierte Probleme mit sich bringt, aus denen wiederum neue Geschichten erwachsen können – eine ideale Spielwiese, wenn man ein bisschen abseits von Elfen, Orks und Zwergen unterwegs sein möchte, aber dennoch auf klassische Fantasy-Elemente wie Magie und Monster nicht verzichten will.
Die in der Spielewelt angelegten Konflikte tragen für jeden Spielergeschmack etwas in sich und sollten Spielerunden lange beschäftigen können. Auch die hohe Druckqualität zum überraschend niedrigen Hardcover-Preis von 19,95€ sollte Interessenten an dieser Welt zuschlagen lassen - hier kann man als Rollenspieler nicht viel falsch machen. Mein persönlicher 'Bock auf das System'-Quotient steht auf jeden Fall auf Höchstwerten, zu blöd, dass sich meine beiden RP-Runden bereits für andere Systeme entschieden haben ...

Zu all den positiven Aspekten gibt es dann auch noch etwas, über das ich mehrfach gestolpert bin: das Korrektorat der Texte hätte sorgfältiger ausfallen können. Einige Schreibfehler sind mir bereits auf den ersten vierzig Seiten deutlich ins Auge gesprungen: wenn man schon im Inhaltsverzeichnis wie auch im Fließtext das Land Castillien korrekt schreibt, ist es umso augenfälliger, wenn es bei der Überschrift der Landesvorstellung nicht richtig steht. 
Bei einer neuen Auflage wäre es also sicherlich hilfreich, wenn hier noch einmal jemand über den gesamten Text kritisch drüberlesen könnte – bei ein paar Fehlerchen auf über 300 Seiten meckere ich sicher nicht, hier waren es für meinen Eindruck jedoch zu viele, was mich angesichts des sonstigen professionellen Eindrucks zu einer Abwertung geführt hat. 

Fazit: Vielseitige, interessante Spielewelt mit einer reichhaltigen und umfassenden Regeleinführung – unbedingt empfehlenswert für Mantel-und-Degen-Fans. Neun von zehn möglichen Punkten.


Buchdetails: 
Titel: 7te See - Grundregelwerk
Autor: Michael Curry, Rob Justice, John Wick
Übersetzer: Manfred Sanders
Originaltitel: 7th Sea, Second Edition
Verlag: Pegasus Spiele GmbH, 15. April 2017, 314 Seiten, Hardcover, ISBN-13: 978-3957891051, 19,95€
Das Rezensionsexemplar wurde von Pegasus Spiele GmbH zur Verfügung gestellt - danke dafür! :)

Über Gloria H. Manderfeld

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