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Rezension: Atomic Blonde


Im Angesicht der Ereignisse vor dem Mauerfall von 1989 muss sich die MI6-Agentin Lorraine Broughton einem Verhör von MI6 und CIA-Vertretern stellen, um ihr Tun in einer zehn Tage zurückliegenden Mission in Berlin genauer zu beleuchten.
Dort wurde der MI6-Agent James Gascoigne von einem mutmaßlichen KGB-Agenten getötet. Mit einem verlorenen Agenten könnte MI6 vermutlich noch umgehen, nicht aber mit dem damit einhergehenden Verlust der Informationen, die Gascoigne in einer Armbanduhr bei sich trug und welche ebenfalls in feindliche Hände geraten sind: eine brisante Liste aller aktiven Feldagenten, die in der Sovietunion eingeschleust wurden.

Broughton erhält den Auftrag, Gascoignes Leiche zurück zu überführen, doch dies ist nur ein Vorwand dafür, sie mit einem guten Grund einige Tage lang nach Berlin einzuschleusen, damit sie sich nach dem Mörder ihres Kollegen umsehen und die Liste zurück erlangen kann. Doch kurz nach ihrer Ankunft in Berlin wird sie von KGB-Leuten überfallen und muss vermuten, dass ihre Missionan den Feind verraten wurde – auch der eigentlich als Unterstützer angekündigte MI6-Stationschef von Berlin, David Percival, scheint eher sein eigenes Süppchen zu kochen denn ernsthaft interessiert, Broughtons Arbeit zu erleichtern. Die Liste scheint vorerst verloren, doch es gibt noch Hoffnung: der Stasi-Offizier, welcher sie ursprünglich stahl, behauptet, sich die Liste vollständig eingeprägt zu haben, will sie jedoch nur dann niederschreiben, wenn er und seine Familie in den Westen gebracht werden …

Der auf der Graphic Novel »The Coldest City« von Antony Johnston und Sam Hart basierende Agententhriller bietet auf den ersten Blick einen optischen Ausflug in die bunte Neonwelt der 80er Jahre und wird von Regisseur David Leitch mit vielen faszinierenden Kontrasten gekonnt in Szene gesetzt.
Da es sehr viele unterschiedliche Schauplätze gibt, die im Lauf der Story besucht werden, wird dem Zuschauer durch ein einfaches Mittel dabei geholfen, die Übersicht zu bewahren: alle Schauplätze im Osten Berlins werden in dominierenden, trostlosen Grautönen gezeigt, die weitaus moderneren, glitzernderen Szenerien West-Berlins erstrahlen in vielfarbigem, neonunterlegten Glanz und lassen viel Abwechslung aufkommen.

Auch der Soundtrack, der sich reichlich an bekannten Titeln aus den 80er Jahren bedient, verstärkt diesen Eindruck noch und lässt einen tief in die Atmosphäre und natürlich auch eigene Erinnerungen an diese Zeit eintauchen. Geschickt wird die Storyhandlung mit den Rahmenereignissen rund um den Mauerfall dadurch verknüpft, dass Broughton immer wieder TV-Nachrichten sieht, in denen die von damals bekannten Bilder zu sehen sind.
Daraus entsteht ein rundes Gesamtbild, in das man sich sofort einfühlen kann und das die aufgeheizte Atmosphäre der damaligen Zeit sehr gut transportiert. Broughtons Erlebnisse werden dadurch deutlich greifbarer, die Spannung gerade im überwachten, streng reglementierten Osten steigt alleine schon durch die gekonnt vermittelte Umgebungsstimmung deutlich an.


Doch auch die Schauspieler leisten wirklich hervorragende Arbeit: gerade Charlize Theron als Lorraine Broughton, die sich entweder mit Köpfchen oder ausgesprochen schlagkräftig durch die verschiedensten Situationen arbeitet, beweist nach Mad Max: Fury Road, wie gut ihr starke Frauenrollen mit leisen Zwischentönen liegen und hat mich mit ihrer Darstellung der toughen Agentin restlos begeistert. Besonders für ihr Spiel eingenommen hat sie mich jedoch in einer der stilleren Szenen, in der Broughton nach einer Bettgeschichte einige sehr ruhige Worte über ihr Schicksal spricht und dabei tiefe Einblicke in das Werte- und Gedankensystem des Charakters zulässt.

James McAvoy brilliert in der Darstellung von Broughtons zeitweiligem Verbündeten, zeitweiligen Gegenspieler David Percival, der erst nach und nach seine Facetten offenbart und einen immer wieder aufs Neue verblüfft. Gerade durch seine enorme Wandlungsfähigkeit verleiht McAvoy seiner Figur eine enorme Tiefe und lässt einen immer wieder aufs Neue darauf hoffen, eine weitere Szene mit Percival zu sehen, alleine um herauszufinden, ob man sich in seiner eigenen Einschätzung des Charakters getäuscht hat oder korrekt lag.


Auch der Nebendarsteller-Cast reicht von erstklassig bis hervorragend: Til Schweiger überzeugt als der geheimnisvolle Informationsbroker mit der Bezeichnung »Uhrmacher« ebenso wie Bill Skarsgård, der als Helferlein Merkel sowohl Waffen als auch Papiere und auch mal ein Auto mit Diplomatennummernschild organisiert und damit unersetzbar für Broughtons Erfolg ist.
Eddie Marsan glückt sein farbloser Stasi-Offizier in wunderbar staubigem Charme, John Goodmans Charaktergesicht verleiht dem CIA-Agenten Emmett Kurzfeld Leben und Sofia Boutella verkörpert eine wundervoll naiv-abgebrühte Delfine Lasalle, welche für den französischen Geheimdienst arbeitet und im Grunde den Schmelztiegel Berlin hinter sich lassen will. Hier stimmt wirklich alles – selten hat mich eine Riege an Darstellern so überzeugen können wie bei »Atomic Blonde«.

Wer knallharte Action mag, wird bei diesem Film nicht enttäuscht: ganz im Stil bekannterer Agentenfilme gibt es auch bei »Atomic Blonde« Kämpfe, die vor allem von Broughton bestritten werden müssen und meistens sehr viel größere und/oder stärkere Gegner involviert, gegen die sie entschieden und ausgesprochen taktisch vorgehen muss, um die Kämpfe zu überleben. Gerade in der zweiten Hälfte des Filmes, in der Broughton bereits angeschlagen ist, kann man sehr gut sehen, wie ausgepumpt sie in die Kämpfe hineingehen muss und dennoch alle Kräfte mobilisiert, um das Blatt doch noch zu wenden. 


Neben einer herausragenden Choreographie zeigen die Kämpfe auch starke CQC-Elemente (Close Quarter Combat), bei denen mit aktuell in der Szene vorhandene und glaubwürdige Gegenstände dazu verwendet werden, den Gegner zu überrumpeln und zu überraschen – ich werde einen Gartenschlauch nie wieder mit den gleichen Augen sehen können! Ein Fest für jeden, der gute und glaubwürdige Action zu schätzen weiß und klassische Spionagethriller, in denen ein Agent nicht automatisch durch sein Charisma und reichlichen Schusswaffengebrauch Erfolge einfährt, bevorzugt.

Der einzige Grund, warum ich »Atomic Blonde« nicht die absolute Bestwertung geben kann, liegt in der Story begründet: sie wartet zwar am Ende mit einer interessanten Wendung auf, die einen noch einmal die gesamte Handlung mit anderen Augen resümieren lässt, ist ansonsten aber sehr geradlinig und bietet bestenfalls guten Durchschnitt für jeden, der dieses Genre mag und schon einiges an Erfahrung mit Filmen oder Büchern aus ähnlichen Settings mitbringt. Hier wäre noch Luft nach oben gewesen – aber das ist zugegebenermaßen Jammern auf sehr hohem Niveau und soll nur erklären, warum dieser Film für mich noch nicht rundum ‚perfekt‘ war.
Die Tatsache, dass sich die Drehbuchautoren für eine bisexuelle anstelle einer heterosexuellen Romanze entschieden haben, zeugt für mich vom Wunsch, zwar einiges Vertrautes mit einzubringen, aber eben nicht alles so zu machen wie Vorgängerautoren, um den Zuschauer zu überraschen. In diesem Fall ist durch die sensible Inszenierung die Überraschung wirklich gut gelungen und sehenswert umgesetzt.

Fazit: Klassischer, modern inszenierter Agententhriller mit spannender Szenerie und herausragenden Darstellern. Ein Must-Watch für Genrefans. Neun von zehn möglichen Punkten.

Filmdetails:
Titel: Atomic Blonde
Originaltitel: Atomic Blonde
Originalsprache: Englisch
Erscheinungsjahr: 2017
Länge: 115 Minuten
Altersfreigabe: FSK16
Regie:David Leitch
Drehbuch: Kurt Johnstad
Darsteller: Charlize Theron, James McAvoy, John Goodman, Til Schweiger, Eddie Marsan, Sofia Boutella, Toby Jones, Bill Skarsgård, James Faulkner

Über Gloria H. Manderfeld

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